Generationen-Clash in der digitalen Transformation?
Autor: Ing. Mag. (FH) Peter Müllner - Organisationsberater und New Work-Experte bei BRAINS AND GAMES
Warum KI und Change Management nur mit klarem Fokus funktionieren.
Neulich in einem Beratungsgespräch erlebte ich eine Situation, die mir seither nicht mehr aus dem Kopf geht: "Ab nächstem Monat läuft unsere gesamte Projektkommunikation über die neue Kollaborationsplattform", verkündete der Geschäftsführer stolz. Seine Mitarbeitenden reagierten mit einem Gemisch aus Begeisterung und verhaltener Skepsis. Drei Monate später war das ambitionierte Projekt ins Stocken geraten. Während einige Teams die neue Plattform begeistert nutzten, hielten andere an gewohnten Kommunikationswegen fest. Das Ergebnis? Drei parallel laufende Kommunikationssysteme und jede Menge Frust auf allen Seiten.
Diese Erfahrung ist symptomatisch für eine Herausforderung, der ich in meiner Beratungspraxis immer häufiger begegne:
Wie kann digitale Transformation gelingen, wenn in unseren Unternehmen bis zu vier Generationen aufeinandertreffen - jede mit ihrer ganz eigenen "Digital DNA"?
Die Generationen-Landkarte: Orientierung ja, Schublade nein
Wenn wir über Generationen in der Arbeitswelt sprechen, lassen sich zunächst charakteristische Muster beobachten. Da sind die Baby Boomer, geboren zwischen 1946 und 1964. Sie haben den Computer noch als revolutionäres Arbeitsgerät kennengelernt und schätzen vor allem den persönlichen Austausch. Ich erinnere mich an einen erfahrenen Abteilungsleiter, der mir kürzlich sagte: "Weißt du, Peter, manchmal ist ein Gespräch bei einer Tasse Kaffee einfach effektiver als zwanzig Chat-Nachrichten."
Die Generation X (1965-1979) bildet häufig die Brücke zwischen analog und digital. Sie haben den technologischen Wandel aktiv miterlebt und gestaltet. Ihre pragmatische Herangehensweise macht sie zu wichtigen Vermittlern in digitalen Transformationsprozessen. In meiner Beratungspraxis erlebe ich sie oft als die "Übersetzer", die sowohl die Bedenken der älteren als auch die Ungeduld der jüngeren Kollegen verstehen.
Dann kommt die Generation Y (1980-1999), die ersten "Digital Pioneers". Sie bringen eine natürliche Affinität zu technologischen Lösungen mit und sehen digitale Tools als selbstverständlichen Teil ihrer Arbeitswelt. Allerdings beobachte ich bei ihnen oft eine interessante Ambivalenz: Einerseits wollen sie die Vorteile der Digitalisierung voll ausschöpfen, andererseits suchen sie nach Wegen, die ständige Erreichbarkeit zu begrenzen.
Besonders spannend ist die Generation Z (ab 2000). Entgegen vieler Erwartungen sind diese "Digital Natives 2.0" erstaunlich kritisch gegenüber der totalen Digitalisierung. In meinen Workshops höre ich von ihnen oft den Wunsch nach klaren Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben – den sogenannten "Work-Life-Cut". Sie nutzen digitale Tools höchst selektiv und zweckgerichtet, ganz anders als man es von "Digital Natives" erwarten würde.
Die Generationen-Falle: Über Stereotypen hinausdenken
Doch genau hier müssen wir innehalten und kritisch reflektieren: Diese Kategorisierungen, so hilfreich sie als erste Orientierung sein mögen, werden der Realität in ihrer Komplexität nicht gerecht. Meine Erfahrung aus zahlreichen Transformationsprojekten zeigt: Die digitale Affinität eines Menschen hat oft weniger mit seinem Geburtsjahr zu tun als mit seiner individuellen Lernbiografie, seinem beruflichen Werdegang und – besonders wichtig – seiner aktuellen Rolle und seinen spezifischen Bedürfnissen im Arbeitsalltag.
Wenn unterschiedliche Digital-Mindsets aufeinandertreffen
Ein Beispiel aus der Praxis macht dies deutlich: In einem kürzlich begleiteten Projekt war es ausgerechnet ein 58-jähriger Abteilungsleiter, der als Early Adopter die neue Kollaborationsplattform vorantrieb. Gleichzeitig zeigte eine 25-jährige Produktmanagerin zunächst deutliche Vorbehalte – nicht etwa aus mangelnder digitaler Kompetenz, sondern weil sie die Auswirkungen auf etablierte Arbeitsabläufe kritisch hinterfragte.
Solche Erfahrungen lehren uns: Die wirklich relevanten Fragen bei der digitalen Transformation lauten:
Welchen konkreten Mehrwert schafft die Veränderung für die jeweilige Rolle?
Wie können wir individuelle Erfahrungen und Expertisen wertschätzend einbinden?
Welche unterschiedlichen Lernpfade ermöglichen wir?
Der Weg zur generationenübergreifenden Digitalstrategie
Aus meiner Beratungserfahrung haben sich fünf zentrale Erfolgsfaktoren herauskristallisiert:
Beteiligen Sie alle Generationen aktiv an der Auswahl und Einführung neuer digitaler Tools – aber denken Sie dabei in Kompetenzen und Rollen statt in Altersstufen.
Entwickeln Sie flexible Einführungsstrategien mit personalisierten Lernpfaden. Ein "One-Size-Fits-All"-Ansatz wird der Vielfalt Ihrer Mitarbeitenden nicht gerecht.
Schaffen Sie Klarheit in der Kommunikation durch gemeinsam definierte Spielregeln – unabhängig vom Alter der Beteiligten.
Investieren Sie in Digital Leadership Development, das auf Stärken und Expertisen statt auf Generationenzugehörigkeit basiert.
Verstehen Sie Cultural Change Management als kontinuierlichen Prozess, der individuelle Perspektiven berücksichtigt.
Von der Theorie in die Praxis
Die praktische Umsetzung dieser Prinzipien erfordert neue Ansätze. Besonders bewährt haben sich:
"Digital Experience Spaces": Hier können Mitarbeitende neue Tools in ihrem eigenen Tempo erkunden.
"Digitale Frühstücks-Sessions": Ein Format, das den Austausch von Erfahrungen in entspannter Atmosphäre ermöglicht.
"Digital Mentoring": Ein Programm, das Expertise statt Alter in den Mittelpunkt stellt.
Regelmäßige "Digital Feedback Loops": Sie geben allen Beteiligten eine Stimme im Transformationsprozess.
Gemeinsam in die digitale Zukunft
Der Erfolg digitaler Transformation liegt nicht in der perfekten Kategorisierung von Generationen, sondern in der Fähigkeit, die individuellen Stärken und Perspektiven aller Mitarbeitenden zu erkennen und zu nutzen. Erst wenn wir über Generationen-Klischees hinausdenken, schaffen wir Raum für echte Innovation und nachhaltigen Wandel.
Die Vielfalt in unseren Unternehmen ist keine Hürde, sondern eine einmalige Chance. Der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht in der perfekten Technologie, sondern in der Fähigkeit, die unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen als Bereicherung zu erkennen und zu nutzen.
Möchten Sie mehr darüber erfahren, wie Sie die unterschiedlichen Digital-Mindsets in Ihrem Unternehmen gewinnbringend nutzen können? In der neuesten Folge unseres BRAINTALK Podcasts spreche ich im Rahmen eines Live-Events mit Sascha Krammer, ehemaliger Top-Manager bei Magenta Telekom, über konkrete Strategien für eine generationenübergreifende Digitalisierung. Hören Sie rein und lassen Sie sich inspirieren.